Tannchen

Leo Tannchen wird am 2.2.1882 in Rogasen/Provinz Posen . Er kommt nach dem Ersten Weltkrieg mit seiner Frau Gertrud (22.6.1881, geb. Hinzelmann, gest. 20.7.1956 in Buenos Aires) und seinen drei Söhnen nach Braunschweig. Heinz Ferdinand, 19.12.1913, der älteste Sohn, will Jura studieren, wird jedoch Kaufmann. 1935-1936 hält er sich im jüdischen Ausbildungslager für Palästina in Gut Winkel bei Spreenhagen/Berlin auf und emigriert am 6.7.1936 nach Palästina. 1953 übersiedelt er in die USA nach Denver/Colorado. Rudolf Alfred, in Gnesen am 14.11.1915 geboren, besucht das Wilhelm-Gymnasium und will Ingenieur werden. Er studiert aber später Sprachen und wird in Cordoba/Argentinien Sprachlehrer und Universitätsprofessor. Siegfried Franz, am 12.7.1917 geboren, emigriert am 2.10.1936 nach Argentinien und arbeitet dort als Kaufmann. Später zieht er in die USA.

Der letzte in Deutschland frei gewählte Wohnort der Familie Tannchen ist in der Wachholtzstr. 1, einer Parallelstrasse zur Wilhelm-Bode-Straße im östlichen Ringgebiet. Leo hat schon in Gnesen eine Anwaltspraxis betrieben, in Braunschweig lässt er sich 1920 als Rechtsanwalt nieder, 1921 wird er Notar. Seine Praxis befand sich am Theaterwall/Ecke Fallersleber Straße. Weil er im Ersten Weltkrieg Frontsoldat war, behält er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten vorerst seine Anwaltszulassung, wird jedoch vom 19. – 25.4.1933 in „Schutzhaft“ genommen und verliert im November 1935 sein Notariat. Nach dem Selbstmord seines Kollegen Mielziner im November 1937 ist er gemeinsam mit dem christlich getauften Dr. Lipmann der einzige Rechtsanwalt jüdischer Herkunft in Braunschweig. Zwischen 1934 und August 1938 vertritt er mutig die Angelegenheiten der jüdischen Gemeinden in Braunschweig und Wolfenbüttel. So wird er 1938 von der Wolfenbüttler Gemeinde beauftragt, beim Reichsminister Widerspruch gegen Schikanen einzulegen, mit denen die letzten jüdischen Geschäftsleute zur Geschäftsaufgabe und Emigration gezwungen werden sollen. So war z.B. eine Gruppe Hitlerjungen beauftragt worden, die Kaufleute Daniel und Moses bzw. deren Kunden einzuschüchtern. Außerdem hatten SA-Leute Lebensmittelläden, Schlachtereien und Bäckereien Schilder mit der Aufschrift „Juden unerwünscht“ aufgedrängt. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Auf eine erneute Beschwerde m 22.4.1938 teilte das Ministerium in aller Kürze mit: „Auf die Eingabe vom 22.4.1938 teile ich mit, dass ich keine Veranlassung und auch gar keine Möglichkeit sehe, auf die Geschäftsinhaber in Wolfenbüttel einzuwirken, Schilder mit der Aufschrift ‚Juden unerwünscht‘ zu entfernen“. Leo Tannchen vertritt zwischen 1934 und 1938 nur noch drei Zivilsachen vor dem Oberlandgericht. Am 10.11.1938 wird er ins KZ Buchenwald eingeliefert, am 14.12.1938 schwer misshandelt und mit der Auflage, Deutschland zu verlassen, wieder entlassen. Am 23./24.12.1938 emigriert die Familie nach Argentinien. Die Wohnungseinrichtung wird billig verkauft, es müssen Judenvermögensabgabe (2530RM), Auswanderungsabgabe (1100), Reichsfluchtsteuer (Höhe unbekannt) bezahlt werden. Für Überfahrt und Umzug (2966RM/2370RM) kommen noch einmal erhebliche Summen zusammen. Hinzu kommt, dass die Überseespedition die Sachen schlecht verpackt. Für die Entschädigung erhalten sie später 61,07 RM. Die Gesamtsumme beträgt ein halbes Jahresgehalt. Im Juli 1946 schreibt Tannchen an seinen ehemaligen Vermieter in der Wachholtzstrasse., der die Tannchens beim Verlassen des Landes sehr geholfen hat:“…wie gütig, menschlich und empfindsam sie sich uns gegenüber verhalten haben..“ und weiter: „Uns hat ein gütiges Geschick gegönnt, dass wir mit unseren Kindern hier in Argentinien Aufnahme fanden und so dem sicheren Untergang entronnen sind, den Millionen unserer Glaubensgenossen in schrecklichster Weise erleiden mussten….Es war nicht leicht, in einem fremden Land und in unserem Alter unter völlig anderen Lebensverhältnissen Fuß fassen zu können, aber immerhin war dieses Los vorzuziehen, als unter barbarischer Terrorherrschaft elendiglich zugrunde zu gehen…“ In dem Brief verschweigt er, dass sie in Argentinien kein Einkommen hatten und von der Unterstützung jüdischer Hilfsvereine lebten. Am 29.4.1949 starb Leo. Seine Frau Gertrud, die später ein Entschädigungsverfahren betrieb, erhielt insgesamt 39.000 DM, die drei Söhne jeweils 5000 DM vom deutschen Staat.

Recherche: Schülerinnen und Schüler der IGS Querum