Gutkind

Familie Gutkind

Walter Gutkind ist am 26.05.1880 in Braunschweig geboren. Die Familie wohnt am Lessingplatz 11. Seine Eltern sind Max Gutkind und Fanny Gutkind geborene Hertz.

Nähere Angaben zu seiner Familie kann man dem Brief entnehmen, den Walter Gutkind am 25.01.1964 an den Direktor des Stadtarchivs in Braunschweig richtet:

„Der Vater, Bankier und Kommerzienrat Max Gutkind, geboren 1847, besitzt eine Bank in der Brabandtstraße 8 in Braunschweig. Max Gutkind ist Major der Landwehr außer Dienst. Er ist Inhaber des Eisernen Kreuzes II. Klasse von 1870 mit der Spange von 1914. Er besitzt das Ritterkreuz mit Schwertern des Ordens Heinrich der Löwe I. und II. Klasse. Er ist Mitglied der braunschweigischen Handelskammer und anderer Organisationen. Er ist lange Zeit Bezirksvorsteher in der städtischen Armenverwaltung. Max Gutkind gehört dem jüdischen Glauben an; am 14.01.1921 tritt er jedoch aus der jüdischen Gemeinde aus.“

Max Gutkind stirbt 1931 im Alter von 84 Jahren.

Die Mutter, Fanny Gutkind geb. Hertz, geboren am 28.02.1850, ist Vorsitzende des Elisabeth-Vereins. Außerdem ist sie Inhaberin des Braunschweiger Kriegsverdienstkreuzes. „Gewürdigt wurden besondere Verdienste im Kriege. Dazu gehörten aufopfernde Tätigkeiten in der Nächstenliebe und Kriegsfürsorge.
(Quelle: www.ehrenzeichen-orden.de)
Auch erwirbt sie die Rote-Kreuz-Medaille.

Fanny Gutkind stirbt 1927 im Alter von 77 Jahren.

Walter Gutkind hatte drei Schwestern, Paula, Hedwig und Elisabeth.
Er schreibt, man könne ihn und seine Geschwister nicht als jüdische Mitbürger zählen. Dies träfe allenfalls auf seine Schwester Paula zu, diese sei jedoch vor 1933 nach Breslau umgezogen. Er und seine Schwestern Elisabeth und Hedwig hätten nicht der jüdischen Gemeinde angehört. „Frau Paula Gottstein (geb. Gutkind) und Frau Hedwig Funke (geb. Gutkind) sind von den Nazis umgebracht worden.“ (Brief von Walter Gutkind an Herrn Moderhack, Guildford, Surrey, 25.01.1964, Stadtarchiv Braunschweig)

Walter Gutkind besucht das Gymnasium Martino-Katharineum in Braunschweig. Nach dem Abitur absolviert er ein Lehrjahr bei seinem Vater in der Bank. Anschließend studiert er Rechtswissenschaft in München, Berlin, Heidelberg und Leipzig.

1901 lässt er sich evangelisch taufen.

Walter Gutkind, 1918 (Quelle: Dieter Miosge, Privatbesitz)

Er besteht das erste juristische Examen und später das zweite mit guten Leistungen. In Leipzig arbeitet er an seiner Doktorarbeit und darf sich nach bestandener Prüfung Dr. jur. nennen.
Weil er wie sein Vater leidenschaftlicher Deutscher ist, gehört für ihn das Soldatentum mit sechswöchigen Wehrübungen in Metz fast jedes Jahr aufs Neue dazu. Seit 1905 ist er Leutnant der Reserve. Während des Ersten Weltkrieges kämpft er an der Westfront. Aufgrund seiner Verdienste wird er zum Hauptmann befördert. Er bekommt auch das Eiserne Kreuz I. und II. Klasse verliehen.

Wohnung von Walter Gutkind, Lessingplatz 11.
Seit 1919 arbeitet Gutkind als Staatsanwalt in Braunschweig.
Im November 1919 heiratet er seine nicht jüdische Frau Margarete Gutkind geborene Pape. Sie ist 17 Jahre jünger als er und sie kommt aus Berlin.
1926 wird ihre einzige Tochter geboren.
Sie  heißt Barbara.

1928 wechselt Gutkind an das Verwaltungsgericht in der Turnierstraße in Braunschweig als Oberverwaltungsgerichtsrat. Er hat gute Chancen, bald Präsident am Oberverwaltungsgericht zu werden.
Gutkind ist als ein sehr guter Richter bekannt, der hervorragende Eigenschaften und sehr viele literarische und kulturgeschichtliche Interessen hat. „Oberverwaltungsgerichtsrat Dr. Gutkind ist ganz zweifellos eine nach seinen Fähigkeiten hervorragende und so wertvolle Persönlichkeit, wie sie mir in meiner langen dienstlichen Laufbahn selten begegnet ist.“ (Präsident des Verwaltungsgerichts Bues, zit. nach Miosge, Der vertriebene Richter Dr. Walter Gutkind, Braunschweig 2005, S. 15 f.)

Am 7.4.1933 tritt das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums in Kraft. Es besagt, dass Beamte, die dem jüdischen Glauben angehören, den Staatsdienst verlassen müssen. Doch Dr. Gutkind kann zunächst weiter im Dienst bleiben, da auf ihn das sogenannte „Frontkämpferprivileg“ zutrifft, da er als Soldat im Ersten Weltkrieg gekämpft hat.
Nach den Verordnungen zum Reichsbürgergesetz vom 15.9.1935 werden auch die Juden, die noch als „Frontkämpfer“ im Staatsdienst tätig sein dürfen, entlassen. Walter Gutkind wird zum 01.01.1936 pensioniert, er erhält aber noch weiter seine Bezüge.
(s. Miosge, Zulassung ist zurückgenommen, Braunschweig 2006, S. 84)

Über die Entlassung schreibt er:

„Ich musste aber schon im Oktober meine Tätigkeit beim Verwaltungsgericht aufgeben. Marquordt, mit dem und dessen Frau meine Frau und ich freundschaftlich verkehrt hatten, kam zu mir in mein Dienstzimmer im Verwaltungsgerichtshof und eröffnete mir, dass ich meine Tätigkeit einzustellen habe, und zwar sofort, ohne dass ich ein Urteil, das ich gerade schrieb, fertig stellen konnte. In einem Gespräch über mein Verbleiben in Braunschweig oder meinen Fortzug in einen anderen Ort sagte er mir, dass er nach dem Verlust meines Amtes den persönlichen Verkehr nicht fortsetzen könnte“.
(W. Gutkind, zit. n. Miosge, Zulassung ist zurückgenommen, Braunschweig 2006, S.84)

Walter Gutkind zieht mit seiner Familie nach Berlin. Er wird nach der Pogromnacht am 11.11.1938 vor seiner Haustür ergriffen und in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Die Aufsicht in dem Konzentrationslager wird von Anhängern der NSDAP geführt, viele davon sind früher kriminell gewesen. Er wird dort ausreichend verpflegt und es gibt wenig Folterungen und Quälereien. Walter Gutkind muss jedoch oft schwere und sinnlose Arbeitsleistungen verrichten. Während der Zeit im Konzentrationslager steckt er sich mit einem Virus an.
Zu seiner Entlassung am 14.12.1938 wird ihm die Anweisung gegeben, so schnell wie möglich aus Deutschland zu verschwinden; diese erhalten alle Juden.
Barbara Gutkind berichtet, „er habe bei der Rückkehr schrecklich elend in seinem zerknitterten, nach Desinfektionsmitteln stinkenden Anzug ausgesehen, mit offenen Frostbeulen an den Handrücken. Er habe wohl eine Art Blutvergiftung gehabt, denn er habe noch lange unter Furunkulose gelitten.“
(Barbara Gutkind zit. nach Miosge, Der vertriebene Richter Dr. Walter Gutkind, Braunschweig 2005, S. 17)

Gutkind und seine Familie fliehen nach England, wo sie bei Mrs. Gordon, die südwestlich von London ein kleines Landhaus hat, ein kaltes feuchtes Zimmer bekommen. Margarete Gutkind arbeitet bei Mrs. Gordon als Hausmädchen und Köchin, während Walter Gutkind Haus- und Gartenarbeiten verrichtet. Walter Gutkind bekommt keine Arbeitserlaubnis für andere Arbeiten. Sie haben nur 10 Reichsmark, als sie nach England kommen. Später verrichten sie die gleichen Arbeiten bei zwei Quäkerinnen in einem Haus in London.
Die Tochter Barbara Gutkind besucht eine Schule in England.

Neun Monate nach Kriegsbeginn wird Walter Gutkind als feindlicher Ausländer, wie die meisten Männer, die geflohen sind, verhaftet. Bis Oktober 1940 wird er interniert. Er erlebt nach der Internierung den Bombenkrieg der Deutschen in London.

Im März 1941 findet er endlich Arbeit in einem Strickbetrieb für die Herstellung von Strümpfen und Sweatern.
Margarete Gutkind behält ihre Arbeit als Haushälterin und arbeitet außerdem in einem Restaurant als Bedienung. Sie haben ein knappes Einkommen. Es wird besser, als Gutkind 1942 eine Anstellung als Buchhalter im Krankenhaus St. Luke findet. Hier arbeitet er bis 1956. Er ist zu dem Zeitpunkt 76 Jahre alt.

1945/46 versucht die Braunschweiger Justiz, Gutkind als Präsident des Verwaltungsgerichts zurückzuholen. Dieser lehnt ab und entscheidet sich, in England zu bleiben. Ein Grund dürfte sein, dass er 1945 bereits 65 Jahre alt ist.
Er ist zu dem Zeitpunkt staatenlos.

Gutkind schafft es nach vielen Mühen, dass der deutsche Staat ihm seinen Pensionsanspruch zuspricht. Die Pension wird ihm 1952 – mithilfe von Freunden – gezahlt und nachgezahlt, sodass er sich ein Reihenhaus in Guildford kaufen kann.
Im Mai 1958 erfährt Gutkind von der Deutschen Botschaft, er könne einen Antrag auf Wiedergutmachung stellen. Juristen, die ihn gut kennen, können bezeugen, dass er zum Präsidenten des Verwaltungsgerichts ernannt worden wäre, wenn die Nazis nicht die Macht übernommen hätten.
Im August 1959 wird er rückwirkend zum Präsidenten des Verwaltungsgerichts Braunschweig ernannt. Er darf auch den Titel tragen und bekommt die entsprechende Pension.

Die Gutkinds reisen sehr viel nach der Klärung der Pensionsansprüche. Sie machen auch wieder häufig Urlaub in Deutschland.
1959 feiert Gutkind mit seiner Frau Goldene Hochzeit. Doch vier Tage nach der Feier stirbt Margarete Gutkind ganz plötzlich und unerwartet.

Im Alter von 94 Jahren bricht sich Walter Gutkind bei einem Sturz den Oberschenkelhals. Er wird bis zu seinem Tod am 01.03.1976 von Pflegern und seiner Tochter liebevoll gepflegt, die in der Todesanzeige schreibt, ihr Vater habe „ein Leben voller Güte, selbstloser Hilfsbereitschaft und vorbildlicher Haltung“ vollendet, „von dem er selbst sagte, er habe länger gelebt als die meisten Menschen und habe, wenn auch nicht von allem Leid verschont, eine Fülle von Glück erfahren.“ (Barbara Gutkind, zit. nach Miosge, Der vertriebene Richter Dr. Walter Gutkind, Braunschweig 2005, S. 28)

Barbara Gutkind lebt heute noch als pensionierte Gymnasiallehrerin in dem Reihenhaus, das ihr Vater kaufte.

Recherche: 2013 – Schülerinnen und Schüler
Realschule Maschstraße