Familie Jastrow

Simon Salomo  Jastrow wird  am 9.5. 1885 geboren,
in Ritschenwalde / Oborniki, Poznan; Polen

Er siedelt mit seiner  Familie nach Braunschweig.
1922  beginnt er, oder setzt seine  Ausbildung  fort  zum Kaufmann und Schneider.
Das  Geschäft befindet sich  in der Innenstadt.
Verschiedene Adressen sind zu finden.
Der letzte gemeinsame Wohnort ist die Frankfurter Straße 272 (ehem.72),
in Braunschweig.

Schließung und Verlust des Geschäftes, das Datum ist unbekannt.
Zwangsübersiedlung in das Judenhaus Höhe 3.

Simon  wurde mit seiner Familie am 31/03/1942 von Gelsenkirchen
in das Warschauer Ghetto deportiert.
In den folgenden Wochen/ Monaten fand sehr wahrscheinlich der Transport und die Ermordung im Vernichtungslager Treblinka statt.

Herta Jastrow, geb. Shimmek, Ehefrau und Mutter, wird am  17.2.1894 geboren
in Exin / Poznan; Polen.
Sie hat das gleiche Schicksal wie ihr Ehemann.

Alice Jastrow, die Tochter, wird am 8.2. 1922  geboren in Exin / Poznan; Polen.
Ihre  letzte Wohnung ist ebenfalls  Frankfurter Straße 272 , Braunschweig
Sie teilt das Schicksal ihrer Eltern,
Vom 28.07.1939 bis 21.04.1941 befindet sie sich in dem
‚Frauenhaus  Isenburg‘  bei Offenburg, einem Jüdisches Frauenhaus.

Ihr Todesort ist sehr wahrscheinlich ebenfalls Treblinka.

Herbert  Jastrow, der Sohn, wird am 6.11. 1928 in Braunschweig geboren.
Auch seine letzte Wohnung ist die  Frankfurter Straße 272; Braunschweig
Er teilt das Schicksal seiner Eltern,

Ellis Jastrow; geb. 1916, Tochter
Laut Dokumentation ‚Jad Vashem‘ gleiches Schicksal wie die Eltern.

 Anmerkung:
Die Existenz von Ellis ist nicht gesichert, da sie in keinem weiteren Verzeichnis
bestätigt ist.

  

Die Wohn – und Wirtschaftssituation der Familie Jastrow

1923 erscheint der Name Simon Jastrow mit dem Vermerk „Kaufmann“ zum 1. Mal im Geschäftsregister der Stadt Braunschweig.-1924 wechselt die Wohnung von der Packhofstraße 1. Zum Eiermarkt 4.-Wir vermuten, dass es nach erfolgreichen wirtschaftlichen Monaten 1927 zu einem eigenen Geschäft gekommen ist.
Laut Eintrag heißt es: Simon Jastrow, Kleidergeschäft, Altstadtmarkt 3;  die Wohnung befindet sich im Eiermarkt 4 in der 2. Etage.  1928 befindet sich sein Kleidergeschäft am Altstadtmarkt 4 im Erdgeschoss, privat zieht die Familie in die erste Etage des Eiermarktes Nr. 4-1929 verändert sich die Wohnsituation, können Jastrows die Geschäftssituation in der Innenstadt aufrechterhalten, so verändert sich die Wohnsituation. Sie wohnen nun in der Frankfurter Straße 72. Im 2. Stock.  Ab 1932 gibt es keine Eintragung mehr, die ein Geschäft in der Innenstadt bezeugt. Wir kennen die privaten oder wirtschaftlichen Gründe nicht.
1935 wurde die Nummerierung der Frankfurter Straße geändert und ihre Hausnummer wechselte zur 272.
Die Familie Jastrow musste 1940 zwangsweise in das Judenhaus Höhe 3 ziehen, bevor sie am 31.03.1942 deportiert wurden. In den Akten ist diese Deportation nur als „unbekannt verzogen“ vermerkt.

 

Herbert  und Alice

Wie genau es dem Sohn, Herbert, zu dieser Zeit erging,  ist uns leider nicht bekannt.
Wir wissen nur das er die Gemeindeschule und die darin aufgeführte einklassige Volksschule jüdischer Kinder besuchte.  Die Klassenlehrerin war ebenfalls jüdischen Glaubens: Frau Mangold; als Fachlehrer für Singen und Leibesübungen ist  Herr J. Tichauer vermerkt.
Als 16. Schüler wird Herbert Jastrow erwähnt, Klasse 6.; darunter stehen seine Noten.
Nach der Reichspogromnacht im November 1938 werden diese Klassen geschlossen.

Die am 08.02.1922 geborene Tochter Alice, taucht im Melderegister erstmalig am 28.2.1923 mit der Adresse Eiermarkt 4 auf und später, ab dem 29.10.1928, mit der Adresse Frankfurter Straße 272.    Am 21.4.1936 ging Alice als Haustochter nach Berlin und kehrt am 10. November des gleichen Jahres zurück.   Am 13.12.1936 zieht sie nach Herzberg, kommt jedoch am 1.1.1937 nach Braunschweig zurück. Danach hält sie sich bis zum 19.9.1938 in Berlin auf.

Um ihre Tochter Alice vor der Deportation zu bewahren und ihr womöglich noch die Ausreise nach Israel/Palästina zu ermöglichen, schickten Salomon und Hertha Jastrow sie in das „Heim des jüdischen Frauenbunden Isenburg“ in Neu-Isenburg.
Dort fanden sozial entwurzelte jüdische Mädchen, unverheiratete Schwangere und ledige Mütter mit ihren Kindern Zuflucht.
Die sozial gefährdeten weiblichen  Jugendlichen lernten in „Isenburg“, sich einen geregelten Tagesablauf einzufügen, Verantwortung zu übernehmen und wurden in koscherer Haushaltsführung unterrichtet.
Die damals 17 Jährige Alice wurde am 28.07.1939 im Heim „Isenburg“ aufgenommen und hielt sich dort fast zwei Jahre auf,
bis sie am 21.04.1941 zu ihren Eltern in das Judenhaus Höhe 3 in Braunschweig abgemeldet wurde. Dort hielt sie sich mit ihren Eltern auf – bis auf einen kurzen Aufenthalt in Hannover,
bis zu ihrer Deportation auf.


Judenhaus Höhe 3

Ab 1939 sollten Juden nicht mehr mit „Ariern“ zusammen unter einem Dach wohnen.
Sie wurden von der Gestapo aus ihren bisherigen Wohnungen vertrieben und zwangsweise in noch in jüdischem Besitz befindliche Häuser eingewiesen,  und dort nach und nach konzentriert.
Auch die Familie Jastrow lebte ab 1939/1940 in einem dieser Judenhäuser, nämlich im Jugendhaus Höhe 3 im zweiten Stock. Als die Familie Jastrow in das sogenannte Judenhaus umgesiedelt wird, lebten dort schon  Rosa Cohn, Julius Wagner, und Carl Cohn, evtl. noch andere Braunschweiger Juden.
Das Haus in der Höhe 3 gehörte der Familie Cohn. Es wurde vermutlich „arisiert“, also von den Nazis unrechtsmäßig übernommen und 1944 durch einen Luftangriff zerstört.

 

Das Warschauer Ghetto

Schon im November 1939 erklärte der deutsche Militärbefehlshaber einen Teil der überwiegend jüdischen Altstadt Warschaus zum „Seuchensperrgebiet“. Im Oktober 1940 kam der Befehl zur Errichtung des Ghettos. Ab November 1940 waren auf einem drei Quadratkilometer großen Gebiet schließlich 460.000 Menschen, das sind 6,6 m² pro Person, auf engstem Raum zusammengepfercht und vom Rest der Stadt abgeschlossen. Nicht nur die jüdische Bevölkerung Warschaus, auch Menschen aus anderen Gebieten Polens und aus Deutschland wurden hier interniert. Die nichtjüdischen Bewohner des Stadtbezirks wurden zuvor gezwungen, ihre Häuser zu verlassen. Es lebten meist 7-8 Menschen in einem Zimmer, manchmal aber auch bis zu 13.

Rund um das Ghetto wurde eine drei Meter hohe, 17 Kilometer lange Mauer mit Stacheldraht errichtet. Die Bewohner des Ghettos mussten in etwa 50 Privatbetrieben und in ghettoeigenen Betrieben Zwangsarbeit leisten. Um die mangelnde Versorgung mit Lebensmitteln zu verbessern, versuchten die Bewohner, Waren über die Mauer zu schmuggeln. Für viele Menschen war dies die einzige Möglichkeit zu überleben.

Das tägliche Leben im Ghetto war extrem beengt und bestimmt von Überwachung und Terror, von Hunger und Epidemien. Circa 100.000 Menschen, ein Viertel der Bevölkerung, starben schon vor dem Beginn der Deportationen in die Konzentrationslager.

 

Aus der Abschlussrede:

Wir als Religionskurs des 12.Jahrgangs an der Heinrich-Büssing-Schule möchten die Opfer und in diesem Fall „unsere“ jüdische Familie Jastrow in Ehren halten, deshalb ist es uns wichtig die Stolpersteine für sie zu gestalten und bei der Verlegung dabei zu sein.
Es sind schon einige Jahre ins Land gegangen, seit der Herrschaft des Nationalsozialismus, dennoch ist es nie zu spät, Gedenken an die vielen Opfer zu halten. Wir möchten nicht, dass diese Zeit in Vergessenheit gerät, um uns und die nachfolgenden Generationen vor einer erneuten Katastrophe zu bewahren.
Diese Katastrophe lautet:   Menschen zu bewerten heißt, rassistisch zu denken
und zu handeln.
Wir als Schülerinnen und Schüler der Heinrich-Büssing-Schule wollen das nicht dulden,  keinen Rassismus und keine Ausgrenzung.

Familie Jastrow bedeutet uns viel, wir haben sie zwar persönlich nie kennen lernen dürfen, dennoch haben wir im Laufe unserer Recherchen einiges über sie erfahren.
Wir hätten gerne Bilder der Familie gezeigt.
Es bleiben uns nur wenige Einträge, wie der im Klassenbuch der einklassigen Volksschule für jüdische Kinder: bei Herbert Jastrow, steht bei Klasse 6:
„Betragen: zuletzt gut, Bücher müssen ordentlicher gehalten werden.“

Recherche: 2019  –  Schüler und Schülerinnen  des  Gymnasiums der  Heinrich-Büssing-Schule :
Christian Pfaue, Jeff Hesse, Felix Ebert, Patrick Müller,
Felix Unglaube, Iris Osterkamp, Jenny Mazur
in Begleitung des Lehrers Edgar Austen