Kopfstein

Familie Kopfstein

 

Felix Kopfstein, geboren am 03.05.1886 in Elbing/Westpreußen, ist in Beuthen in Oberschlesien aufgewachsen. Sein Vater ist Oberrabbiner in Beuthen. Informationen über die Mutter liegen uns leider nicht vor. Felix Kopfstein selbst wird für sein  Wirken für das Deutschtum ausgezeichnet.
Er macht sein Abitur in Beuthen im Jahre 1905 und studiert anschließend Rechtswissenschaft in München, Berlin, Freiburg und Breslau. Er beginnt 1908 seine Referendarausbildung im Oberlandesgerichtsbezirk Breslau. Im darauffolgenden Jahr erwirbt er den Doktortitel der Rechte.

Seit Januar 1913 ist er Assessor im preußischen Staatsdienst bei der Nationalbank in Berlin. Ab Dezember 1913 übt er den Anwaltsberuf bis März 1914 in Hindenburg in Oberschlesien und anschließend in Beuthen aus.
Seine Anwaltstätigkeit muss er für fünf Monate wegen Ableistung des Kriegsdienstes (1915/16) unterbrechen.

Felix Kopfstein beschließt, Beuthen zu verlassen, weil er keine berufliche Zukunft in Beuthen sieht. Denn durch den Versailler Vertrag fällt ein großer Teil Oberschlesiens an Polen.
Aufgrund der Volksabstimmungen, die nach dem Friedensvertrag stattfinden, wird Beuthen zur Grenzstadt. Beuthens Gerichtsbezirk schrumpft. Sein Betätigungsfeld verkleinert sich ebenfalls. Deshalb stellt er am 25.10.1921 eine schriftliche Anfrage beim Justizminister in Braunschweig, ob er bei einem Gericht im Land Braunschweig als Anwalt zugelassen werden könne.
Er übernimmt im September 1922 eine Anwaltspraxis in Seesen. Nach einer weiteren Anfrage beim Oberlandesgerichtspräsidenten wird er ab November 1922 Notar für den Kreis Gandersheim mit Sitz in Seesen.
Oberlandesgericht Braunschweig (Quelle: Stadtarchiv Braunschweig s.o.)

Der sozialdemokratische Bildungsminister Hans Sievers wird auf Kopfstein aufmerksam, weil dieser Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei und im Gauvorstand des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dem Bund deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner, ist.
Er bewirkt die Ernennung Kopfsteins zum Landgerichtsrat in Braunschweig
am 01.10.1928.

Dieser Wechsel vom Beruf des Anwalts zu dem des Richters ist nach Aussage von Miosge also nicht die Idee Felix Kopfsteins gewesen.
Seine Ernennung wird in der Öffentlichkeit kritisiert. Es kommt zu Protesten.
Ein Abgeordneter der Nationalsozialisten richtet 1928 folgende Anfrage an den Landtagspräsidenten: „Welche Vorteile, außer der Zugehörigkeit zur jüdischen Rasse und zum Reichsbanner und der demokratischen Parteitüchtigkeit des genannten Herrn begründen es, ihn erfahrenen und befähigten deutschen Beamten des Richterstandes plötzlich überzuordnen?“ (zit. nach Dieter Miosge, Zulassung ist zurückgenommen, Braunschweig 2006, S. 79)

Zwei Jahre später, am 01.03.1930, ernennt Hans Sievers  Felix Kopfstein sogar zum Oberlandesgerichtsrat.

Aufgrund seiner linksliberalen Einstellung und der Mitgliedschaft in der DDP gerät Felix Kopfstein vom 25. bis 31.3.1933 in „Schutzhaft“ in das Gefängnis Rennelberg.
Am 16. Mai wird er von Heusinger, dem Präsidenten des Oberlandesgerichts, angehört. Daraufhin wird er aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 07.04.1933 zum 22. Mai aus dem Staatsdienst entlassen.

Zu dieser Zeit ist seine Wohnung in der  Zeppelinstraße 2 in Braunschweig

Es wird ihm eine Gehaltszahlung für weitere drei Monate gewährt, aber eine Pension sowie eine Wiederzulassung als Anwalt wird Kopfstein verweigert. Außerdem wird ihm nach seiner Entlassung die staatliche Wohnung in der Zeppelinstraße 2 gekündigt.
Dies geht auch aus einem Schreiben von Frau Kopfstein vom 21.01.1966 hervor:

„Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis hat man uns mit unseren 3 Kindern (damals 9, 10 und 14 Jahre alt) auch aus der Wohnung im staatlichen Haus, Braunschweig, Zeppelinstraße 2, ausgewiesen. Da uns kein Hauswirt aufnehmen wollte, sind wir nach Berlin gezogen, wo wir Verwandte hatten.“ (Schreiben von Frau Kopfstein an Herrn Moderhack, Braunschweig, 21.01.1966, Stadtarchiv Braunschweig)

Felix Kopfstein zieht mit seiner Familie nach Berlin zu seinem Bruder, bis dieser seine Stellung als Direktor eines Hüttenwerkes verliert.

1935 tritt das „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“ in Kraft:
Eheschließungen zwischen Juden und Nichtjuden sind verboten.
Dennoch geschlossene Ehen sind nichtig.
Von der Gestapo wird Druck auf Gertrud Kopfstein, die Christin ist, ausgeübt, sie soll sich von ihrem Mann trennen, doch sie lehnt dies ab.

Nach Angaben von Miosge führt Frau Kopfstein einen privaten Kindergarten in Berlin; mit den Einkünften von 120 – 150 Mark kann sie die Familie über Wasser halten. Es wird ihr im Jahre 1939 die Erlaubnis zur Führung ihres privaten Kindergartens entzogen. Schließlich arbeitet sie als Stenotypistin.

Felix Kopfstein gehört 1940 zu den 500 deutschen Juden, die mit einem Sammeltransport Deutschland verlassen können.
Dazu schreibt Gertrud Kopfstein: „Im August 1940 kam mein Mann in einen – unter Aufsicht der Gestapo zusammengestellten – Palästina-Transport; dabei ist er ums Leben gekommen.“ (Brief von Frau Kopfstein an Herrn Moderhack, Braunschweig, 21.01.1966, Stadtarchiv Braunschweig)

Mit Hilfe der Reichsvereinigung der Juden geht es von Wien aus mit Donauschiffen nach Rumänien und von dort aus mit der griechischen „Pacific“ in den Hafen von Haifa. Dort will die britische Mandatsverwaltung die 500 deutschen Juden abschieben. Sie sollen mit dem Schiff „Patria“ nach Mauritius gebracht werden und nicht in Palästina an Land gehen. Sie befürchten, dass die Juden in Palästina an Macht gewinnen könnten.

Deshalb versucht die jüdische Untergrundorganisation „Hagana“, ihre Landsleute zu retten, indem sie am 25.11.1940 Sprengstoff auf das Schiff bringt. Ziel ist es, durch eine Explosion das Schiff zu beschädigen, sodass die Flüchtlinge in Palästina an Land gehen müssen. Durch die von der „Hagana“ verursachte Explosion wird das Schiff jedoch so stark zerstört, dass es sehr schnell sinkt.
So ertrinken 250 Passagiere – unter diesen befindet sich auch Felix Kopfstein. Seine Familie erfährt erst 1941 von seinem Tod.
Am 5.7.1946 wird Felix Kopfstein gerichtlich für tot erklärt.

Wenn man einen Rückblick auf Felix Kopfsteins Leben wirft, sieht man, dass er am Anfang ein ganz normales Leben geführt hat. Dies ändert sich, als er von einem Tag auf den anderen alles verliert. Damit ist gemeint, dass er seine Stellung und seine Wohnung einbüßt und schließlich aus Deutschland ausgewiesen wird.
Er will sich ein neues Leben in Palästina aufbauen. Aber es kommt nichts wie geplant, und Felix Kopfstein stirbt durch einen Fehler der jüdischen Untergrundorganisation „Hagana“.

Gertrud Kopfstein

Felix Kopfstein heiratet die Christin Gertrud Kopfstein geb. Eckert (geb. 07.08.1895). Die Eheleute lernen sich wohl in Beuthen kennen. Es wird vermutet, dass das Ehepaar Kopfstein Ende des Ersten Weltkrieges geheiratet hat. Die beiden haben drei Kinder. Gemeinsam leben die Eheleute mit ihren Kindern in Beuthen, Seesen, Braunschweig und Berlin. Da sie in Berlin als Stenotypistin arbeitet, muss man annehmen, dass sie Stenographie und Maschineschreiben gelernt hat.

Weil ihr Ehemann seit 1933 nicht mehr als Anwalt arbeiten darf, ernährt sie die Familie. Sie trennt sich nicht von ihrem Mann, obwohl die Nazis dies erwarten.
Als ihr Mann 1940 nach Palästina geht, bleibt sie mit ihrer Tochter Felicitas in Berlin zurück.

Gertrud Kopfstein kommt am 01.03.1949 nach Braunschweig zurück.
Dort lebt sie am Lessingplatz 6.
Zehn Jahre später, am 16.04.1959, zieht sie noch einmal um. Danach ist ihre neue Adresse Bankplatz 5.
Gertrud Kopfstein lebt seit 1979 in einem Pflegeheim in Lübeck.
Gertrud Kopfsteins Sterbedatum ist unbekannt.

Felicitas Kopfstein

Felicitas, geboren 1918, wird im Nazijargon als „Halbjüdin“ bezeichnet. Die älteste Tochter Felicitas ist aufgrund einer Scharlacherkrankung gehbehindert und leidet an einer Schüttellähmung.
Felicitas wird von ihrer Mutter sicher in einem Kloster untergebracht. Ihre Mutter wohnt in der Nähe. Das Kloster wird beim Einmarsch der Russen 1945 zerstört.
Felicitas stirbt bereits im Alter von 27 Jahren in Berlin.

Benjamin Kopfstein

Der jüngste Sohn Benjamin Kopfstein wird am 1.8.1923 in Seesen im Harz geboren. Er besucht die Jüdische Oberschule Berlin. 1939 emigriert er nach Palästina mit der Jugend-Alija. Dort lebt er anfangs in einem Kibbuz, einer jüdischen Siedlungsform. Dann ist er bei der Jewish Settlement Police, einer Elitetruppe, die von der Hagana rekrutiert wurde. Danach macht er sein Abitur und wird Erzieher im Kinderheim.
Später ist er Kulturgesandter und studiert im Ausland.
Besuch von Kedar-Kopfstein in Braunschweig 1991 (Quelle: Stadtarchiv BS, H XXX, Negative 91/465 )

Benjamin Kopfstein ist nach seinen Studien auch als Lehrer im Kibbuz tätig.
Nach weiteren Studien wird er Universitätsprofessor für Biblische Philologie.
Heute heißt er Professor Dr. Benjamin Kedar-Kopfstein.
Er ist mit der deutschen Jüdin Margita Kedar geb. Heymann verheiratet, mit der er zwei Kinder und sieben Enkelkinder hat. Sie leben in Haifa.
(Quelle: http://agd.ids-mannheim.de/download/isdok.pdf)

Im Jahr 1991 besucht er mit seiner Frau Braunschweig.
Die Braunschweiger Zeitung berichtet am 4. September 1991 über den Besuch von Benjamin Kedar–Kopfstein. Er erzählt, dass ihm beim Bummeln durch die Straßen Braunschweigs Kindheitserinnerungen in den Sinn kommen: „Mögen die Erinnerungen auch noch so traurig sein, (…) wen zieht es nicht an die Stätten der Kindheit und Jugend.“

Vor einigen Tagen erreicht uns die Nachricht, dass Benjamin Kedars Frau vor zwei Jahren gestorben ist und er in einem Altersheim in Kiryat-Tivon bei Haifa lebt.

Hanna Kopfstein (geb. 1922 in Breslau) hat ebenso wie ihr Bruder 1939 Deutschland verlassen und ist nach Palästina ausgewandert. Dort wird sie von der britischen Armee angeworben. Später heiratet sie einen britischen Soldaten, mit dem sie nach Neuseeland geht. Dort lebt sie bis zu ihrem Tod vor etwa 10 Jahren.

Recherche: 2013- Schülerinnen und Schüler der Realschule Maschstraße